Gefahren des Klimawandels in der Zentralafrikanischen Republik
In der Zentralafrikanischen Republik sind zahlreiche Wetterstationen ausser Betrieb oder völlig veraltet, sodass das landesweite Klima im weltweiten Vergleich äusserst schlecht überwacht wird, obwohl das grossflächig grüne und fruchtbare Land besonders anfällig für den Klimawandel ist.
In Kombination mit den Folgen des bewaffneten Konflikts in der Sahelzone und der Tschadseeregion beeinträchtigen die Auswirkungen des Klimawandels das Leben der Menschen heute auf unerträgliche Weise.
Wir haben mit Ibrahima Bah, dem ehemaligen Leiter des Programms für wirtschaftliche Sicherheit beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Bangui gesprochen, um mehr über die Situation zu erfahren.
Was sind die Folgen des Klimawandels auf die zentralafrikanische Bevölkerung?
Ibrahima Bah : Die Zentralafrikanische Republik ist ein deutliches Beispiel dafür, wie weitreichend die Folgen des Klimawandels und bewaffneter Konflikte sein können.
Infolge der Instabilität und einer wachsenden Ressourcenknappheit in der Sahelzone und der Tschadseeregion machen sich zahlreiche Viehzüchter auf der Suche nach Wasser und Weideland für ihre Herden auf den Weg in die Zentralafrikanische Republik. Ein günstiges Klima, eine weit verstreut lebende Bevölkerung sowie riesige Weideflächen machen das Land zu einem idealen Standort für das grasende Vieh.
Derzeit existieren kaum Vorschriften zur Regulierung der saisonalen, grenzüberschreitenden Migration. Dies übt mitunter einen enormen Druck auf die natürlichen Ressourcen aus und beschwört Konflikte zwischen Bauern und Viehzüchtern herauf. Die zentralafrikanische Bevölkerung leidet seit 2013 unter den Auswirkungen bewaffneter Gewalt und bekundet Mühe, mit diesem zusätzlichen Konflikt umzugehen.
Gleichzeitig kämpft das Land mit extremen Wetterlagen. So waren 2019 Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Bangui gezwungen, infolge schwerer Überschwemmungen ihre Häuser zu verlassen, und liefen somit Gefahr, sich nicht mehr ausreichend versorgen zu können. Die Überschwemmungen haben auch zu einem Ausbruch von Malaria und Cholera geführt. Dies ist in einem Land, in dem die Menschen kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, besonders dramatisch. Es wird erwartet, dass sich die Situation weiter verschlimmert, da Dauer und Häufigkeit der Regenzeiten immer unregelmässiger werden.1 Es ist kaum mehr möglich, sich auf den traditionellen landwirtschaftlichen Kalender zu verlassen. Die Bauern kämpfen um ihre Existenz und sind auf Unterstützung angewiesen.
Inwiefern hat die saisonale, grenzüberschreitende Migration die bestehenden Spannungen verschärft?
IB: Saisonale Migration ist kein neues Phänomen – genauso wenig wie die Spannungen, die diese zwischen Bauern und Viehzüchtern auslöst. Allerdings folgten die Menschen in einer Zeit, in der Stabilität in der Region herrschte, weitgehend den vorgegebenen Migrationsrouten und hielten sich an gewisse Regeln. Falls beispielsweise eine Herde ein Feld zerstörte, fanden die Anführer der betroffenen Dörfer und Viehzüchter im Normalfall eine einvernehmliche Lösung auf Grundlage feststehender Entschädigungszahlungen. Kam keine Einigung zustande, wurden die lokalen Behörden angerufen bzw. rechtliche Schritte eingeleitet.
Der Ausbruch der bewaffneten Gewalt 2013 führte zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und einem Rückzug des Staates aus bestimmten Gebieten. So verschwanden diese gegenseitigen Kontrollmechanismen und es herrschte das reine Chaos. Die Viehzüchter wichen von den traditionellen Migrationsrouten ab, was den Tierbestand in der Nähe von Dörfern und Feldern immer mehr vergrösserte. Der Wettbewerb um Raum und Ressourcen zwischen Bauern und Viehzüchtern wurde immer heftiger.
Saisonale Migration ist heute oftmals begleitet von Gewalt (z.B. Viehdiebstahl), der Zerstörung von Feldern, sexuellen Übergriffen und sogar Hinrichtungen.
Es kommt zu immer mehr Zusammenstössen zwischen den Gemeinschaften und da aus dieser Situation auch Profit geschlagen werden kann, beobachten wir zunehmend bewaffnete Gruppen, die sich entsprechend involvieren.
Was sind die humanitären Folgen dieser Situation?
IB: In erster Linie sind Bauern und Viehzüchter betroffen, aber da 70 % der Bevölkerung auf landwirtschaftliche und tierische Produktion für ihr Überleben angewiesen ist, sind die indirekten Folgen enorm. Gemäss den aktuellen Daten der Initiative «Integrated Food Security Phase Classification» (Integrierte Ernährungssicherheit – Klassifizierung der Phasen)2, befindet sich fast die Hälfte der Bevölkerung in einer Situation der Nahrungsmittelunsicherheit. Vor allem Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung leiden zunehmend an Mangelernährung. Die Covid-19-Pandemie hat aufgrund eines Rückgangs des Handels und der wirtschaftlichen Aktivitäten die Situation weiter verschlimmert, da gleichzeitig die Preise für importierte Grundnahrungsmittel wie Reis, Öl und Zucker gestiegen sind.
Besonders benachteiligte Menschen haben mehr als je zuvor Schwierigkeiten, sich selbst zu versorgen.
Und das sind nicht die einzigen negativen Folgen. In einigen Gebieten ist der Tierbestand im Verhältnis zum verfügbaren Raum deutlich zu hoch. Dies schadet sowohl der Umwelt als auch der Gesundheit des Viehbestands und belastet die natürlichen Ressourcen. Im Grunde ist die traditionelle Lebensweise der Menschen in Gefahr. Infolge der Armut wenden sich die Menschen anderen, schädlicheren Aktivitäten zu, um ihr Überleben zu sichern. Die intensive Abholzung der Wälder ist nur ein Beispiel. Die Menschen verschaffen sich so den benötigten Treibstoff, verdienen Geld mit dem Verkauf von Feuerholz und füttern ihr Vieh mit Laub – all das auf Kosten der Umwelt. Leider haben die Menschen keine andere Wahl.
Was kann aus humanitärer Sicht getan werden?
IB: Alle Lösungen müssen sich zunächst auf die Verbesserung der Sicherheitslage konzentrieren und die Rückkehr staatlicher Strukturen in Gebiete, aus denen sich diese zurückgezogen haben, sicherstellen, damit Migrationsrouten sowie Weide- und Ackerbaupraktiken erneut geregelt werden können. Wir müssen dabei auch berücksichtigen, dass die Spannungen zu bestimmten Zeiten des Jahres zunehmen, vor allem wenn die Viehzüchter im Januar/Februar aus den benachbarten Ländern kommen und im April/Mai wieder gehen.
Die Bereitstellung humanitärer Hilfe für Viehzüchter ist sehr umstritten, da saisonale Migration eine solch grosse Quelle für Spannungen und Gewalt ist. Aber es werden zu wenige Ressourcen zur Unterstützung eines friedlichen Migrationsprozesses und der Hilfe für die besonders benachteiligten Menschen in den betroffenen Gebieten bereitgestellt.
Bauern können ermuntert werden, bestimmte Praktiken zu überdenken, die sowohl für sie selbst als auch für die Umwelt eine Gefahr darstellen. Die Praxis der Brandrodung, um das Land urbar zu machen, erfordert beispielsweise riesige Flächen. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage, die den Zugang zu den Feldern erschwert, müssen die Menschen immer weiter reisen, um grosse Landstriche mit fruchtbaren Böden zu finden. Dabei setzen sie ihre Sicherheit aufs Spiel. Bauern können neue landwirtschaftliche Praktiken erlernen, die sowohl die Notwendigkeit, weit zu reisen, als auch die negativen Folgen für die Umwelt reduzieren.
Es muss mehr getan werden, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.
Viehzüchter und Bauern pflegten schon immer eine auf gegenseitigen Vorteilen beruhende Beziehung. Saisonale Migration bedeutet nicht zwangsläufig, um Wasser und Land zu streiten, sondern kann eine echte Gelegenheit für kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Austausch bieten. Viehzüchter können ihre Tiere verkaufen und Getreide von den Bauern kaufen. So werden Allianzen geschmiedet und es entsteht eine Verbundenheit, jedoch nur, wenn zwischen den beiden Gruppen ein harmonisches Miteinander herrscht.
Was tut das IKRK?
• Landwirtschaft
- Wir verteilen verbessertes kurzzyklisches Saatgut, das den klimatischen Bedingungen jeder Region angepasst ist.
- Wir schulen Bauern, ertragssteigernde, umweltfreundliche Techniken einzusetzen.
- Wir unterstützen die lokale Produktion von verbessertem Saatgut.
- Wir führen zuverlässige Entwässerungs- und Konservierungstechniken zur Wertsteigerung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ein.
• Viehzucht
- Wir impfen das Vieh, um der Ausbreitung von Krankheiten während der saisonalen Migration vorzubeugen.
- Wir schulen Viehzüchter, Impfungen durchzuführen und die notwendigen pharmazeutischen Produkte und Materialien bereitzustellen.
Wir reagieren auch auf Notsituationen, indem wir Nahrungsmittel und andere grundlegende Artikel an Vertriebene, Rückkehrer und aufnehmende Gemeinden verteilen.
1 Es wird ein Anstieg der Temperatur und eine grössere Häufigkeit intensiver und zerstörerischer Regenzeiten prognostiziert. Dies ist einer der Gründe, warum die Zentralafrikanische Republik ganz oben auf dem "Notre Dame Global Adaptation Index" (ND-GAIN Country Index) steht. Der ND-GAIN bewertet die Anfälligkeit von Ländern für die Folgen des Klimawandels und anderer globaler Herausforderungen in Kombination mit ihrer Bereitschaft, die Widerstandsfähigkeit zu verbessern.
2 Die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) ist eine globale Initiative mit zahlreichen Partnern. Sie beruht auf sich ergänzenden Analysetools und Verfahrensweisen zur Klassifizierung der Schwere und des Ausmasses von Nahrungsmittelunsicherheit und Mangelernährung. Die IPC wurde 2004 in Somalia entwickelt. Heute wird diese Klassifizierung in über 30 Ländern eingesetzt, darunter im Rahmen lang andauernder Krisen und Situationen chronischer Nahrungsmittelunsicherheit.