Humanitäres Völkerrecht und Richtlinien über

Strafrechtliche Verfolgung von Verstössen gegen das HVR

Bei Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht (HVR) sind Staaten verpflichtet, mutmassliche Zuwiderhandelnde zu verfolgen. Nationale Gerichte spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung des HVR und der Begrenzung von Straflosigkeit. Verstösse gegen das HVR können durch verschiedene internationale Strafgerichte wie auch durch nationale Rechtsprechungen verfolgt werden.

Internationale Strafgerichts-barkeit

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die internationale Gemeinschaft schrittweise ein System internationaler Rechtsprechung entwickelt, das die Rechtsprechungen nationaler Gerichte ergänzt, wenn es darum geht, Menschen vor Gericht zu stellen, die des Genozids, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt sind. Es handelt sich um ein duales System mit Ad-hoc- und anderen internationalen Gerichten, die nach spezifischen Konflikten eingesetzt werden, einerseits und dem Internationalen Strafgerichtshof andererseits. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die siegreichen Mächte in Deutschland und Japan Strafgerichte, um Kriegsverbrechen gegen Zivilpersonen und alliierte Kämpfer zu verfolgen. Trotz Vorbehalten gegenüber einer solchen Initiative durch die Sieger gab es aufgrund der Grausamkeit der begangenen Verbrechen, insbesondere der Massenvernichtungen von Juden und anderer Minderheiten, breite öffentliche Unterstützung für diese Prozesse. 

Im Gegensatz zu früheren Kriegen war beinahe die Hälfte der Opfer des Zweiten Weltkriegs Zivilpersonen. In der Folge unterstützte die internationale Gemeinschaft im August 1949 auch aktiv die Erweiterung des Wirkungsbereichs des humanitären Völkerrechts (HVR), insbesondere über Vertragsrecht, um Zivilpersonen wirkungsvoller zu schützen. 

Das IKRK begrüsste sowohl die Weiterentwicklung des HVR durch die Annahme des vierten Genfer Abkommens 1949 als auch die Einführung des Weltrechtsprinzips für schwere Verstössen gegen die Bestimmungen des HVR als Mittel gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen. 

Beinahe fünf Jahrzehnte später überzeugten das Ende des Kalten Kriegs und neue Konflikte in Europa und Afrika, die Hunderttausende zivile Opfer forderten, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, erneut die Einsetzung internationaler Ad-hoc-Strafgerichtshöfe in Betracht zu ziehen. 

Der bewaffnete Konflikt auf dem Balkan bewegte die Vereinten Nationen dazu, einen internationalen Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag einzusetzen, um jene vor Gericht zu bringen, die Kriegsverbrechen, des Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt waren. Der bekannteste Beschuldigte war der ehemalige jugoslawische Präsident Sobodan Milošević. 

Wenig später wurde in Aruscha (Tansania) ein Strafgerichtshof eingesetzt, um die Verstösse gegen das HVR und andere internationale Verbrechen zu bestrafen, die zu Beginn der 1990er-Jahre in Ruanda begangen worden waren. 

Seither wurden auch Sondergerichtshöfe eingesetzt, um nationale und internationale Verbrechen zu verfolgen. Beispiele für solche gemischten Gerichtshöfe sind in Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Osttimor, Sierra Leone, Kambodscha und jüngst im Libanon zu finden. 

Diese internationalen (und gemischten) Strafgerichtshöfe können zur Weiterentwicklung und Klarstellung des HVR und des Rechts der Menschenrechte beitragen. Sie können zudem die Einhaltung des HVR stärken, indem sie Opfern Gerechtigkeit zuteil werden lassen, als Abschreckung für künftige bewaffnete Konflikte wirken und zu Versöhnung und Wiederaufbau beitragen, indem sie die Wahrheit über die Geschehnisse während eines Konflikts ans Licht bringen. 

Der von der internationalen Gemeinschaft im Jahr 1998 gefällte Entscheid, den Internationalen Strafgerichtshof zu gründen, war auch ein Versuch, ein Mittel zu schaffen, um mit Fällen umzugehen, die Staaten nicht verfolgen können oder wollen.

Ad-hoc-Gerichtshöfe

Lange ermöglichten es internationale Gerichtshöfe Staaten und anderen Akteuren, Streitigkeiten beizulegen. Allerdings bildeten die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg den Anfang der Ad-hoc-Gerichtshöfe, vor denen sich Personen verantworten mussten, die der bedeutendsten internationalen Verbrechen – Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – beschuldigt waren.