Humanitäres Völkerrecht und Richtlinien über

Unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten

Ein Schlüsselelement des humanitären Völkerrechts ist die klare Unterscheidung zwischen bewaffneten Kräften und Zivilpersonen. In zeitgenössischen Konflikten sorgen jedoch die Nähe der Zivilpersonen zu militärischen Operationen und ihre verstärkte Einbindung in militärische Aktivitäten für Verwirrung in Bezug auf den Grundsatz der Unterscheidung.

Tribal fighters stand in civilian clothes with their homemade gun in Papua New Guinea.

Unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten und humanitäres Völkerrecht

Seit Menschengedenken tragen Zivilpersonen in grösserem oder kleinerem Ausmass zu Kriegsanstrengungen bei. Dies geschieht entweder durch ihre Beteiligung an der Herstellung von Waffen oder indem sie wirtschaftliche, politische und administrative Unterstützung bereitstellen. Typischerweise waren sie jedoch nicht an der Kriegsfront und nur wenige Zivilpersonen waren an der Durchführung militärischer Operationen beteiligt. 

Unter diesen Umständen war es vergleichsweise einfach zu bestimmen, wer zu den Kombattanten gehörte, und daher ein legitimes Angriffsziel war, und bei wem es sich um eine Zivilperson handelt, die durch das humanitäre Völkerrecht (HVR) vor direkten Angriffen geschützt ist. 

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Grenzen der Schlachtfelder immer undeutlicher geworden und Kampfhandlungen haben sich auf von Zivilpersonen bewohnte Zentren ausgeweitet. Diese werden immer stärker in Aktivitäten einbezogen, die eng mit der Kriegsführung verbunden sind, wodurch die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Funktionen verschwimmt. Dies hat zu Verwirrung darüber geführt, wie der Grundsatz der Unterscheidung, ein Eckpfeiler des HVR, in der Realität zeitgenössischer Militäroperationen umgesetzt werden soll. 

Ein weiteres Problem entsteht, wenn sich Soldaten zum Beispiel bei geheimen Operationen nicht von Zivilpersonen unterscheiden oder wenn sie tagsüber Bauern und nachts Kämpfer sind. Folglich können bewaffnete Kräfte ihre Gegner nicht genau erkennen und friedliche Zivilpersonen können eher Opfer einer fehlerhaften oder willkürlichen Zielausrichtung werden. 

Gemäss HVR müssen Zivilpersonen gegen direkte Angriffe geschützt werden, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Allerdings wird weder in den Genfer Abkommen noch in ihren Zusatzprotokollen definiert, welches Verhalten einer unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten entspricht. Die aktuelle Herausforderung besteht somit darin, nicht nur klare Kriterien für die Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Soldaten zu definieren, sondern auch zwischen friedlichen Zivilpersonen und solchen, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. 

Unserer Ansicht nach müssen drei wichtige Fragen geklärt werden: 

  1. Wer wird im Zusammenhang mit Feindseligkeiten als Zivilperson betrachtet?
  2. Welches Verhalten entspricht einer unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten?
  3. Was sind die genauen Bedingungen, unter denen unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen ihren Schutz gegen direkte Angriffe verlieren? 

2003 nahm das IKRK in Zusammenarbeit mit dem Asser Institut eine Forschungs- und Beratungstätigkeit zur Auslegung des HVR in Bezug auf die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten auf. Zwischen 2003 und 2008 wurden in Den Haag und Genf fünf informelle Treffen abgehalten, bei denen bis zu 50 Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten aus Militär-, Regierungs- und akademischen Kreisen wie auch von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen zusammenkamen. Das IKRK wurde darum gebeten, diesen Prozess zu leiten. 

Nach sechsjähriger Forschungsarbeit und Diskussionen veröffentlichte das IKRK 2009 die Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under IHL (Anweisung zur Auslegung des Begriffs der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten gemäss humanitärem Völkerrecht) sowie alle Dokumente, die im Rahmen dieses Verfahrens erstellt wurden