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Schutz von Spitälern in bewaffneten Konflikten: Rechtliche Grundlagen

Gemäss dem humanitären Völkerrecht (HVR) dürfen Gesundheitseinrichtungen, darunter Spitäler, nicht angegriffen werden. Dieser Schutz gilt auch für die Verwundeten und Kranken sowie das medizinische Personal und Transportmittel. Von dieser Bestimmung gibt es einige wenige Ausnahmen.

Welche Art von Schutz geniessen Verwundete und Kranke in Zeiten bewaffneter Konflikte?

Zum Kreis der Verwundeten und Kranken in Zeiten bewaffneter Konflikte gehören alle Personen – unabhängig davon, ob es sich um Militär oder Zivilisten handelt –, die medizinisch versorgt werden müssen und die nicht bzw. nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen.

Gemäss dem humanitären Völkerrecht (HVR) haben alle Verwundeten und Kranken – unabhängig davon, zu welcher Partei sie gehören –, das Recht auf:
• Respekt (kein Ziel von Angriffen, Tötungen oder Misshandlungen);
• Schutz (Unterstützung und Schutz vor Schaden und Leid durch Dritte);
• Suche und Bergung;
• eine unterschiedslose Behandlung allein aus medizinischen Gründen.

Obwohl das HVR die Suche, Bergung und Behandlung „soweit möglich" – d.h. unter Berücksichtigung der Sicherheitslage und der verfügbaren Ressourcen – zulässt, rechtfertigen fehlende Ressourcen ein ausbleibendes Handeln nicht. Selbst in Fällen, in denen solche Ressourcen begrenzt sind, müssen staatliche und nicht staatliche Konfliktparteien alles praktisch Mögliche tun, um die medizinische Versorgung der Verwundeten und Kranken sicherzustellen. Einfach gesagt müssen sie die Verwundeten und Kranken so schnell und so gut wie möglich medizinisch versorgen. Dazu gehört die Erlaubnis für unparteiliche humanitäre Organisationen, eine medizinische Versorgung bereitzustellen, wenn die Bedürfnisse der Verwundeten und Kranke nicht erfüllt werden; eine Zustimmung zur Arbeit dieser Organisationen darf nicht willkürlich abgelehnt werden.

Der Schutz der Verwundeten und Kranken wäre bedeutungslos, wenn medizinisches Personal, medizinische Einrichtungen (wie Spitäler) und medizinische Transportmittel Ziele von Angriffen würden. Deshalb geniessen diese unter dem HVR spezifischen Schutz; Konfliktparteien müssen diese in der Ausübung ihrer rein medizinischen Aufgaben respektieren und dürfen ihre Arbeit nicht unzulässig stören, damit die Verwundeten und Kranken medizinisch versorgt werden können.

Unter welchen Umständen können medizinische Einrichtungen ihren Schutz unter dem HVR verlieren?

Generell geniessen medizinische Einrichtungen (wie Spitäler) unter dem HVR spezifischen Schutz. Dieser spezifische Schutz für Spitäler endet erst dann, wenn diese von einer der Konfliktparteien genutzt werden, um ausserhalb der humanitären Aufgaben eine „Handlung zu begehen, die den Feind schädigt". Im Zweifelsfall, d.h. wenn unklar ist, ob medizinische Einrichtungen genutzt werden, um eine „Handlung zu begehen, die den Feind schädigt", sollte davon ausgegangen werden, dass dies nicht der Fall ist.

Eine „Handlung, die den Feind schädigt", ist im HVR nicht definiert. Es werden lediglich einige wenige Handlungen aufgeführt, die als nicht schädigend für den Feind gelten, darunter das Tragen und der Einsatz leichter Waffen zur Selbstverteidigung bzw. zur Verteidigung der Verwundeten und Kranken, der bewaffnete Schutz einer medizinischen Einrichtung oder die Anwesenheit kranker bzw. verwundeter Kämpferinnen und Kämpfer, die nicht länger an Kampfhandlungen teilnehmen, in einer medizinischen Einrichtung.

Ungeachtet einer fehlenden, von allen vereinbarten Definition ist die Logik hinter dem Verlust eines solchen Schutzes eindeutig. Medizinische Einrichtungen geniessen Schutz, weil sie Verwundete und Kranke medizinisch versorgen. Sollten sie genutzt werden, um direkt oder indirekt Teil militärischer Einsätze zu sein und somit den Feind schädigen, endet der Grund für ihren spezifischen Schutz. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Spital als Basis für einen Angriff, als Obervationsposten für die Weitergabe militärischer Informationen, als Waffendepot, als Kontaktzentrum für die Kampftruppen oder als Unterkunft für diensttaugliche Kämpferinnen und Kämpfer genutzt würde.

Was gilt als „Handlung, die den Feind schädigt"?

Eine Handlung, die den Feind schädigt, macht eine medizinische Einrichtung gegebenenfalls anfällig für einen Angriff, sie kann die in ihre Obhut gegebenen Verwundeten und Kranken erheblich gefährden und das in die Arbeit der medizinischen Einrichtungen gesetzte Vertrauen untergraben – mit dem Ergebnis einer generellen Verringerung des Schutzwerts des HVR.

Darüber hinaus können je nach Situation bestimmte Handlungen, die den Feind schädigen, zu einem Verstoss gegen die Bestimmungen zu Vorsichtsmassnahmen zum Schutz der Verwundeten und Kranken sowie des medizinischen Personals und Objekten gegen Angriffe bzw. zu einem Verstoss gegen das Verbot des Einsatzes menschlicher Schutzschilde führen. Ein konkretes Beispiel wäre die Wahl des Standorts einer medizinischen Einrichtung in der Nähe eines militärischen Ziels mit der Absicht, dieses vor feindlichen Einsätzen abzuschirmen.

Ein solches Verhalten kann letztlich auch zu anderen Verstössen gegen das HVR oder sogar Kriegsverbrechen führen. Tragen beispielsweise die medizinischen Einrichtungen die entsprechenden Symbole (Rotes Kreuz, Roter Halbmond, Roter Kristall) und werden von dort Handlungen begangen, die den Feind schädigen, gelten diese als missbräuchliche Verwendung der Symbole – bzw. sogar als perfide Kriegsverbrechen, wenn dies mit dem Ziel geschieht, einen feindlichen Kämpfer zu töten oder zu verletzen.

Sieht das Gesetz zusätzliche rechtliche Anforderungen vor, um eine medizinische Einrichtung anzugreifen, die zur Begehung einer Handlung, die den Feind schädigt, genutzt wurde?

Vor einem Angriff auf eine medizinische Einrichtung, die ihren Schutzstatus verloren hat, muss eine entsprechende Warnung erfolgen. Gegebenenfalls sollte eine Frist gesetzt werden, innerhalb derer ein Angriff nicht erlaubt ist. Der Zweck einer solchen Warnung besteht darin, denjenigen, die eine „Handlung begehen, die den Feind schädigt", die Möglichkeit zu geben, eine solche Handlung zu beenden bzw. andernfalls die sichere Evakuierung der Verwundeten und Kranken zu ermöglichen, die für ein solches Verhalten nicht verantwortlich sind und nicht dessen Opfer werden dürfen.

Bleibt eine solche Warnung unbeachtet, ist der Feind nicht mehr verpflichtet, die Arbeit einer medizinischen Einrichtung nicht zu stören, bzw. kann positive Massnahmen ergreifen, um diese bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Aber selbst dann dürfen humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit dem Wohlergehen der in der medizinischen Einrichtung versorgten Verwundeten und Kranken nicht vernachlässigt werden. Sie müssen verschont werden und es müssen soweit möglich aktive Massnahmen für ihre Sicherheit ergriffen werden.

Dies ist in der Bestimmung zur Respektierung und zum Schutz der Verwundeten und Kranken sowie in den allgemeinen Bestimmungen zur Kriegsführung verankert, die für Angriffe auf militärische Ziele gelten. Ein Angreifer bleibt vor allem dem Prinzip der Verhältnismässigkeit verpflichtet. Die militärischen Vorteile aus einem Angriff auf medizinische Einrichtungen, die ihren Schutzstatus verloren haben, sollten sorgfältig gegen die humanitären Folgen aus Schäden bzw. der Zerstörung an solchen Einrichtungen abgewogen werden: Ein solcher Angriff kann erhebliche nachrangige Kollateralschäden bei der kurz-, mittel- und langfristigen Bereitstellung einer Gesundheitsversorgung verursachen.

Ein Angreifer bleibt ebenfalls dem Prinzip der zu treffenden Vorsichtsmassnahmen bei einem Angriff verpflichtet. So muss er vor allem alles praktisch Mögliche tun, um Schaden von Patienten und medizinischem Personal abzuwenden bzw. diesen zumindest zu minimieren, da diese nichts mit diesen Handlungen zu tun haben und für die die humanitären Folgen besonders verheerend sind. Soweit möglich und operativ angebracht, sollten folgende Massnahmen ergriffen werden, um die direkten und indirekten Folgen eines solchen Angriffs auf die Bereitstellung einer medizinischen Versorgung zu minimieren:

• Vorbereitung eines Krisenplans zur Einschätzung der Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung und zur möglichst raschen Wiederherstellung einer solchen Versorgung.
• Berücksichtigung von Massnahmen zur Evakuierung von Patienten und medizinischem Personal sowie zur angemessenen Betreuung dieser Personen.
• Aussetzen des Angriffs, sollte die Einrichtung die Kriterien für den Verlust des Schutzstatus nicht länger erfüllen (z.B. Flucht der Kämpferinnen und Kämpfer aus der medizinischen Einrichtung).
• Umsetzung von Massnahmen für die rasche Wiederherstellung einer medizinischen Versorgung nach dem Angriff (z.B. Bereitstellung einer medizinischen Unterstützung von militärischer Seite für zivile medizinische Einrichtungen).