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„Aus Angst habe ich niemandem davon erzählt“ – Unterstützung für Überlebende sexueller Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo

Odette's hands

Unbeachtet von der Weltöffentlichkeit erschüttert der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) erneut Menschenleben. Bei den Kämpfen ist auch sexuelle Gewalt weit verbreitet. Die vom Roten Kreuz eingerichteten „Häuser des Zuhörens“ bieten Überlebenden Zuflucht und Unterstützung. Hier sind einige ihrer Geschichten. 

Namen wurden geändert.

Die Geschichte von Françoise

Françoise (17) floh aus ihrem Dorf, als die Kämpfe näher kamen. Seitdem lebt sie in einem Lager für Binnenvertriebene ausserhalb von Goma. 

„Hier begann ich, mit anderen Frauen in den Wald zu gehen, um Brennholz für den Verkauf zu sammeln“, sagte sie. „Vor etwa zwei Wochen trafen wir auf eine Gruppe bewaffneter Männer in Uniform. Wir rannten weg und sie verfolgten uns. Zwei von ihnen erwischten mich, als ich hinfiel und nicht weiterlaufen konnte. Nacheinander vergewaltigten sie mich. Sie sagten kein Wort. Ich konnte sehen, dass auch sie Angst hatten.“ 

„Als ich aufstehen und gehen konnte, kehrte ich ins Lager zurück und verbarg meine zerrissenen Kleider. Ich hatte Angst, schwanger zu werden. Und aus Angst habe ich niemandem davon erzählt. Ich fühlte mich nutzlos, verzweifelt und allein. Doch dann beschloss ich, mich den älteren Frauen im Lager anzuvertrauen, und sie schickten mich zum Haus des Zuhörens“. 

Obwohl sexuelle Gewalt gemäss Völkerrecht und innerstaatlichem Recht streng verboten ist, bleibt sie in der Demokratischen Republik Kongo eines der grössten Sicherheitsprobleme für Frauen und Mädchen, aber auch für Männer und Jungen.  

Françoise, survivor of sexual violence in the DRC.
Françoise's hands
Alyona Synenko/ICRC

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drc

Die Geschichte von Trésor

Zwischen Januar und März hat eine von der UNO geleitete Gruppe von Organisationen mehr als 12'600 Fälle von sexueller Gewalt in Nord-Kivu registriert. Die grosse Mehrheit der Überlebenden sind Frauen und Mädchen, aber auch Männer sind unter den Opfern. 

Trésor und ein Freund trafen beim Sammeln von Brennholz auf vier bewaffnete Männer. Sie wurden aufgefordert, sich auf den Boden zu legen und ihre Hosen auszuziehen.

Der 57-Jährige erinnert sich: „,Ich bin keine Frau! Was wollt ihr?‘ schrie ich sie an. ,Legt euch auf den Boden, dann werdet ihr sehen, was passiert‘, schrien sie zurück. Ich hatte noch nie davon gehört, dass so etwas passiert. Männer, die Männer auf diese Weise angreifen. Mein Freund hat den Angriff nicht überlebt."

Trésor kehrte ins Lager zurück und erzählte seiner Frau, was passiert war.

„Sie versuchte, mich zu trösten“, sagte er. „Sie meinte, es sei nicht meine Schuld. Mehrere Tage lang hatte ich schreckliche Schmerzen. Dann beschloss ich, zum Haus des Zuhörens zu gehen. Ich stand lange Zeit draussen, weil ich mich zu sehr schämte, um hineinzugehen. Ich dachte, das sei nur für Frauen. Ich kann immer noch nicht schlafen, aber ich bin froh, dass ich dort war. Ich hoffe, es geht mir eines Tages besser.“ 

In der DRK besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Zunahme sexueller Gewalt einerseits und der Eskalation der Feindseligkeiten und der Zersplitterung der bewaffneten Akteure im Osten des Landes andererseits. Mehr als die Hälfte der Frauen in der DRK waren bereits der einen oder anderen Form von körperlicher Gewalt ausgesetzt, und mehr als 27 % gaben an, im bewaffneten Konflikt sexuelle Gewalt erlitten zu haben.

Es ist davon auszugehen, dass sexuelle Gewalt neben dem individuellen Verhalten der bewaffneten Akteure auch durch massive Vertreibungen und den konfliktbedingten allgemeinen Mangel an Ressourcen begünstigt wird. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen ist in Lagern und Gebieten mit Bergbauaktivitäten ein besonders weit verbreitetes Problem.

Trésor, survivor of sexual violence in the DRC.
Trésor's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Geschichte von Henriette

Henriette (30) flüchtete im November letzten Jahres aus ihrem Dorf. Ihr Mann ist vermisst. Um ihre Kinder ernähren zu können, sammelte sie Brennholz, um es zu verkaufen. Im Wald in der Nähe ihres Vertriebenenlagers verlor sie ihre Bekannten aus den Augen und wurde von einem Mann vergewaltigt, der eine Machete trug.  

„Ich hatte schreckliche Angst und dachte an meine Kinder“, sagte sie. „Er stieß mich in ein Loch im Boden und vergewaltigte mich. Als er fertig war, sagte er, ich solle verschwinden und nie mehr zurückkommen. Ich hätte Glück, dass er mich nicht töte.“ 

„Nachdem ich ins Lager zurückgekehrt war, ging ich mehrere Tage lang nicht mehr nach draussen. Ich wollte ins Wasser gehen, aber ich tat es nicht, weil sich dann niemand um die Kinder kümmern würde.“  

„Eines Tages hörte ich, wie Leute vom Roten Kreuz über ein Haus des Zuhörens sprachen. Ich hatte Angst, näher zu gehen, denn ich fürchtete, was die Nachbarn denken könnten. Aber von Weitem hörte ich aufmerksam zu, und als sie gegangen waren, kam ich hierher. Man schickte mich in die Klinik, und dort erfuhr ich, dass ich schwanger war.“ 

„So viele Fragen gehen mir durch den Kopf: Was soll ich tun? Wie werde ich meine Kinder ernähren? Was wird mein Mann sagen, wenn er zurückkommt? Aber wenigstens weiss ich nun, dass ich nicht allein bin. Es gibt so viele andere Frauen, denen das passiert. Und das hilft mir ein wenig.“ 

Henriette, survivor of sexual violence in the DRC.
Henriette's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Geschichte von Brigitte

Brigitte (36) war schwanger, nachdem sie beim Brennholzsammeln vergewaltigt worden war.

„Fünf bewaffnete Männer verschleppten uns in den Wald. Sie hielten uns fünf Tage lang fest und vergewaltigten uns dort. Dann liessen sie uns endlich gehen", sagte sie.  

„Mein Mann ist Polizist und arbeitet in einer anderen Stadt. Er weiss nicht, was passiert ist und ich weiss nicht, wie ich es ihm sagen soll. Wenn er zurückkommt, wird es das Ende sein.“  

„An manchen Tagen bleibe ich nur im Bett liegen und weine. Ich habe nichts für das Baby vorbereitet.“  

In der DRK sind die Opfer und Überlebenden sexueller Gewalt abgesehen von den körperlichen und seelischen Folgen mit vielerlei Auswirkungen konfrontiert, darunter soziale Ächtung und wirtschaftliche Ausgrenzung. Mehr als 50 % aller betroffenen Frauen weigern sich, Hilfe zu suchen oder sich Angehörigen anzuvertrauen. Dieser Prozentsatz ist bei Kindern und Männern, die solche Gewalt erlitten haben, sogar noch höher.

Brigitte, survivor of sexual violence in the DRC.
Brigitte's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Geschichte von Sifa

Sifa (16) wurde von bewaffneten Männern vergewaltigt, als sie in der Nähe ihres Dorfes Brennholz sammelte. In einem Vertriebenenlager in Goma erzählte sie, was passiert ist.  

„Sie sagten mir: ,Wir werden deine Großmutter nicht anfassen, sonst wird sie uns verfluchen.‘ Dann warfen sie mich auf den Boden und vergewaltigten mich, einer nach dem anderen", sagte sie.

„Als wir ins Dorf zurückkehrten, sagte mir meine Grossmutter immer wieder, ich müsse stark sein. Sie sagte auch, es sei besser, wenn ich niemandem erzähle, was passiert ist. Dass es unser Geheimnis bleiben müsse. Im nächsten Monat bekam ich meine Periode nicht. Als der Krieg nach Masisi kam, flohen wir und kamen hierher, meine Grossmutter, meine vier kleinen Brüder und ich. Im Gesundheitszentrum sagte man mir, ich sei im fünften Monat schwanger.“   

„Ich war traurig. Aber ich wusste auch, dass traurig sein nichts ändern würde.“ 

In der DRK sind Kinder besonders gefährdet. Sie sind dem Risiko sexueller Gewalt vor allem dann ausgesetzt, wenn sie von ihren Familien getrennt sind, was während der Vertreibung häufig der Fall ist. Bei Jungen und Mädchen besteht die Gefahr, dass sie von bewaffneten Gruppen rekrutiert werden und somit Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, ausgesetzt sind.

Sifa, survivor of sexual violence in the DRC.
Sifa's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Geschichte von Odette

Odette (69) und ihr jüngster Sohn leben seit Oktober 2022 in einem Lager in Goma.

Sie sagte: „Eines Nachts ging ich mit einer Taschenlampe zur Toilette. Zwei bewaffnete Männer hielten mich auf dem Weg an und verlangten mein Telefon. Als ich ihnen sagte, dass ich kein Telefon habe, zerrten sie mich weit in den Wald hinein. Sie sagten mir immer wieder, dass sie mich mit den Kolben ihrer Gewehre schlagen würden, wenn ich nicht schneller ginge. Ich befolgte ihre Befehle aus Angst, sie würden mich umbringen.“      

„Als wir mitten im Wald waren, schlugen und vergewaltigten sie mich. Dann verlor ich das Bewusstsein. Am nächsten Morgen gelang es mir, aufzustehen und zurück zum Lager zu laufen, barfuss, halbnackt und so schwach, dass ich mich an den Bäumen festhalten musste. Ich hatte Glück, dass es in dieser Nacht nicht geregnet hat. Jetzt habe ich Angst, irgendwohin zu gehen. Ich höre ständig ihre Drohungen: ,Wir werden dich töten. Wir werden dich töten.‘ Manchmal frage ich mich, ob das alles nicht passiert wäre, wenn ich ein Telefon gehabt hätte, das ich ihnen geben konnte.“

Odette, survivor of sexual violence in the DRC.
Odette's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Geschichte von Neema

Neema (33) kann sich nicht erinnern, wie viele bewaffnete Männer sie vergewaltigt haben, als sie Brennholz sammelte.  

„Ich war so schwer verletzt, dass ich nicht ins Dorf zurückgehen konnte. Nachbarn taten sich zusammen und gingen in den Wald, um nach mir zu suchen“, sagte sie. 

„Nachdem sie mich zurückgebracht hatten, sagten sie mir, ich solle zum Haus des Zuhörens gehen. Ich bin immer noch schwach und muss mich um die Kinder kümmern. Mit dem Geld, das ich hier erhalten habe, konnte ich anfangen, Beignets zu verkaufen.“  

Neema, survivor of sexual violence in the DRC.
Neema's hands
Alyona Synenko/ICRC

Die Unterstützung für Überlebende

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützt gemeinsam mit dem Kongolesischen Roten Kreuz die „Häuser des Zuhörens“ in den Aussenbezirken von Goma. Hier erhalten Überlebende psychosoziale Hilfe und werden an die nächstgelegenen Gesundheitseinrichtungen verwiesen oder vom IKRK bei der medizinischen Versorgung unterstützt. Auf der Grundlage der von multidisziplinären Teams ermittelten Bedürfnisse wird finanzielle Unterstützung gewährt. 

Dieses mehrjährige, länderübergreifende Programm zur Prävention von sexueller Gewalt wurde 2022 vom IKRK ins Leben gerufen. Ziel ist es, das Risiko des Auftretens dieser Gewalt zu reduzieren und zu den Präventionsmassnahmen beizutragen, indem der Schwerpunkt auf die Einstellungen und Verhaltensweisen gelegt wird, die zu dieser Gewalt führen, sowie auf die Stigmatisierung der Opfer und Überlebenden.

Die DRK gehört zu den ersten Ländern, in denen das Programm getestet wird. Daher bemühen sich die IKRK-Teams im Rahmen der bereits bestehenden Kontakte zu Waffenträgern, neue Methoden einzuführen, die zum besseren Verständnis, zur Evaluierung und zur Beeinflussung von Verhaltensweisen beitragen, welche die Einhaltung des Völkerrechts, der innerstaatlichen Gesetze und der Prävention von sexueller Gewalt fördern. 

Die ersten Schlüsse, die aus den in der DRK und anderswo gesammelten Erfahrungen gezogen wurden, machen deutlich, inwieweit Waffenträger in Konflikten ihre besondere Rolle bei der Verhütung und Verarbeitung der durch sexuelle Gewalt verursachten Schäden verstehen. 

Allein im Jahr 2023 hat das IKRK 3'233 Überlebende und Opfer von sexueller Gewalt in der DRK psychologisch betreut. 

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