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Häufig gestellte Fragen zur Arbeit des IKRK in Israel und den besetzten Gebieten

Nach der Ausweitung der bewaffneten Gewalt in Israel und den besetzten Gebieten am 7. Oktober 2023 werden auf dieser Seite häufig gestellte Fragen zur Arbeit des IKRK in der Region und zum humanitären Völkerrecht (HVR) beantwortet.

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Letzte Aktualisierung: 27.10.2023

Arbeit des IKRK

Was macht das IKRK in Israel und den besetzten Gebieten?

Wir sind seit 1967 in Israel und den besetzten Gebieten (> Begriffserklärung) tätig und arbeiten mit dem Palästinensischen Roten Halbmond und dem israelischen Magen David Adom zusammen. Das IKRK hat Büros in Tel Aviv, im Westjordanland und im Gazastreifen. Wir bemühen uns, mit unseren Aktivitäten und Programmen das Leben der Menschen zu erleichtern. Wir besuchen Inhaftierte, vereinen getrennte Familien, unterstützen Projekte zur Sicherung des Lebensunterhalts und helfen, den Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Wasser und Strom zu vereinfachen. Vor allem treten wir für die Menschen ein, für ihre Rechte und ihre Würde.

Wie hat das IKRK seit dem 7. Oktober auf die Notlage reagiert?

Eine laufend aktualisierte Übersicht mit Informationen zu unseren Hilfsmassnahmen sowie Erklärungen zur Entwicklung der Lage finden Sie hier.

Wie hilft das IKRK entführten und festgehaltenen Menschen?

Unsere Mitarbeiter in Gaza, in Israel und anderswo tun alles in ihrer Macht Stehende, um die zuständigen Behörden zu kontaktieren, welche israelische und andere Staatsangehörige willkürlich festhalten. Unsere Forderung ist klar und eindeutig: Unsere Mitarbeiter müssen Zugang zu ihnen erhalten, um ihre Bedürfnisse einschätzen und den Kontakt zu ihren Angehörigen herstellen zu können. Zivilpersonen, die als Geiseln genommen wurden, müssen freigelassen werden. Alle festgehaltenen Personen müssen jederzeit menschlich und mit Würde behandelt werden.

> Weiterlesen: Erklärung von IKRK-Präsidentin Mirjana Spoljaric nach der Freilassung von Geiseln unter Beteiligung des IKRK

Ein Angehöriger ist während der Eskalation der Gewalt entführt worden. Können Sie mir helfen und wie kann ich Sie erreichen?

Wir wissen, dass die derzeitige Situation für Sie und Ihre Familie sehr belastend ist. Trotz der schwierigen Sicherheitslage sind unsere Teams rund um die Uhr im Einsatz, um so vielen Menschen wie möglich zu helfen und auch ihre Angehörige in dieser belastenden Situation zu unterstützen. Im Rahmen des Mandats und der Kapazitäten des IKRK sind wir bereit, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um zu helfen, gemeinsam mit unseren Partnern der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung  versuchen wir, die Vermissten ausfindig zu machen und Antworten zu geben, soweit es die Situation erlaubt.

Sie erreichen das IKRK auf Hebräisch und Englisch unter der Nummer 03 524 5286. In arabischer Sprache erreichen Sie das IKRK unter der Nummer 08 283 2400. Wenn Sie aus dem Ausland anrufen, wählen Sie + 972 3 5245286.

Ist das IKRK in den besetzten Gebieten aktiver als in Israel?

Unsere Teams vor Ort evaluieren laufend die humanitären Folgen des Konflikts und bemühen sich, entsprechend den aktuellen humanitären Bedürfnissen Hilfe zu leisten.

Zu unserer Arbeit vor dem 7. Oktober:

In den besetzten Gebieten übersteigt der Bedarf an humanitärer Hilfe bei weitem den in Israel: Die Arbeitslosenquoten und die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe sind eindeutige Indikatoren. Es kommt hinzu, dass die technischen und finanziellen Kapazitäten Israels, auf die Bedürfnisse der Israelis einzugehen, die der palästinensischen Behörden und der Hamas bei weitem übersteigen.

Das IKRK ersetzt oder dupliziert niemals die vorhandenen Dienste, sondern geht auf den Bedarf ein, den die zuständigen Behörden nicht decken können. Im Süden Israels zum Beispiel besuchen unsere Teams regelmässig Gemeinschaften, die von Gewalt betroffen sind. Die dortigen Nothilfemechanismen sind sehr stark. Dennoch beobachten wir die Situation weiterhin und sind bereit, Unterstützung zu leisten, wenn wir einen Bedarf feststellen.

Warum spricht das IKRK mit der Hamas?

Aufgabe des IKRK ist es, das Leiden der von bewaffneten Konflikten und Gewalt betroffenen Menschen zu lindern und zu verhüten, wo immer sie sich befinden, auch in Gebieten, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert oder beeinflusst werden. Für Zivilpersonen, die in diesen Gebieten leben, kann das Leben besonders schwierig sein, und sie haben oft sehr viel mehr Bedarf an humanitärer Hilfe und Schutz. Als humanitäre Organisation verfolgen wir einen neutralen und unparteiischen Kurs und haben Kontakt zu allen an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien. Das bedeutet, dass wir nicht Partei ergreifen: Wir leisten Hilfe ausschliesslich nach Massgabe der humanitären Bedürfnisse und sprechen mit allen Seiten, um darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig die Einhaltung der humanitären Regeln ist. Nur so können wir das Vertrauen aller Parteien gewinnen, seien es Regierungen oder bewaffnete Gruppen.

Die Kontakte zu bewaffneten Gruppen sind Teil des humanitären Mandats, das dem IKRK offiziell von allen Unterzeichnerstaaten der Genfer Konventionen erteilt wurde, und wir bekräftigen dieses humanitäre Engagement häufig gegenüber allen Konfliktparteien. Zwar können wir die Einzelheiten unserer Gespräche mit bewaffneten Gruppen nicht weitergeben, da sie vertraulich sind, doch wir bemühen uns stets, sicherzustellen, dass alle verstehen, dass dies die Arbeitsweise des IKRK ist. Wenn wir beispielsweise mit staatlichen Behörden zusammentreffen, sind wir in Bezug auf diese Vorgehensweise klar und transparent. Es ist für uns sehr wichtig, dass alle, denen wir Rechenschaft ablegen müssen, verstehen, dass wir aus rein humanitären Gründen mit bewaffneten Gruppen zusammenarbeiten. Ohne diese Vorgehensweise wäre das IKRK nicht in der Lage, alle Menschen zu erreichen, die unter den Folgen von Konflikten und Gewalt leiden.

Was würde geschehen, wenn das IKRK sich für eine Seite entscheiden und seine Grundsätze der Neutralität und Unparteilichkeit aufgeben würde?

Würde das IKRK Partei ergreifen, würde es das Vertrauen der Beteiligten verlieren. Ohne dieses Vertrauen wären wir nicht in der Lage, weiterhin Rettungseinsätze durchzuführen und auf die Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerungsgruppen, Gefangenen, Angehörigen von Vermissten und Kranken einzugehen. Unsere Neutralität und unsere Grundsätze werden nicht immer richtig verstanden, insbesondere in Situationen, in denen starke Emotionen im Spiel sind. Unsere Neutralität und Unparteilichkeit sind jedoch entscheidend für unsere Fähigkeit, in jedem Umfeld tätig zu werden.

Berücksichtigt das Rote Kreuz die Religion bei der Entscheidung, wo es humanitäre Hilfe leisten will?

Nein, das tut es nicht. Das IKRK ist keine religiöse Organisation und leistet seine Hilfe ausschliesslich auf der Grundlage der humanitären Bedürfnisse. Wir sind Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung und lassen uns bei unserer humanitären Arbeit von den Grundsätzen der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit leiten. Wir mischen uns nicht in religiöse oder politische Angelegenheiten ein und ergreifen bei strittigen Fragen keine Partei. Unser Auftrag ist einzig und allein darauf ausgerichtet, menschliches Leid zu lindern, Hilfsbedürftigen zu helfen und die Grundsätze der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit bei unserer humanitären Arbeit zu wahren. Zwar können einige Symbole, die mit der Bewegung verbunden werden, wie etwa das Rote Kreuz und der Rote Halbmond, historische Verbindungen zu religiösen Wurzeln haben, doch die Bewegung selbst definiert sich als nichtreligiöse Gemeinschaft, die sich humanitären Einsätzen und dem Schutz des menschlichen Lebens und der Menschenwürde verschrieben hat.

Humanitäres Völkerrecht

Was besagt das humanitäre Völkerrecht zur Behandlung von festgehaltenen oder inhaftierten Personen?

Festgehaltene oder inhaftierte Personen - ob Zivilpersonen oder Kombattanten - müssen jederzeit menschlich und mit Würde behandelt werden.

Das IKRK fordert den sofortigen Zugang zu allen Personen, die während der Feindseligkeiten am Wochenende des 7. Oktober entführt wurden. So können wir uns gemäss unserem Mandat und Auftrag über ihr Befinden informieren und ihren Angehörigen die dringend benötigten Auskünfte erteilen. Der Besuch bei Menschen, die ihrer Freiheit beraubt sind, ist für uns als neutrale und unabhängige humanitäre Organisation ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Wir bemühen uns, auf beiden Seiten dieses Konflikts alle Personen zu besuchen, die ihrer Freiheit beraubt sind.

Was sind Geiseln im Sinne des humanitären Völkerrechts?

Geiseln sind Menschen, die ungeachtet ihres Rechtsstatus von einer Person oder Organisation gefangen genommen wurden und die getötet oder verletzt werden können, wenn den Forderungen dieser Person oder Organisation nicht entsprochen wird.

Die Durchführung oder Androhung einer Geiselnahme in einem bewaffneten Konflikt ist laut humanitärem Völkerrecht verboten.

Wie steht das humanitäre Völkerrecht zur Folter?

Laut Völkerrecht sind Folter und andere Formen der Misshandlung überall und zu jeder Zeit absolut verboten. Sowohl das humanitäre Völkerrecht (HVR) als auch die internationalen Menschenrechtsnormen ergänzen sich gegenseitig und bilden ein vollständiges Regelwerk für die Verhütung und Bestrafung von Folter und anderen Formen der Misshandlung.

Die Staaten haben sich darauf geeinigt, dass es für Folter keine Rechtfertigung gibt. Das durch solche Methoden verursachte Leid kann zutiefst verstörende und jahrelang anhaltende Auswirkungen auf die Opfer haben.

Wie wird ein Gefangenenaustausch im Sinne des Völkerrechts durchgeführt?

Das HVR enthält einige Grundregeln, die von den Konfliktparteien beim Austausch von Gefangenen zu beachten sind:

  • Die Überstellung beziehungsweise der Austausch von Gefangenen muss human durchgeführt werden.
  • Die Umstände der Überstellung oder des Austauschs dürfen sich nicht nachteilig auf die Gesundheit der Gefangenen auswirken. Die Gewahrsamsmacht sollte die Gefangenen während der Überstellung oder des Austauschs mit ausreichend Nahrung und Trinkwasser sowie mit der notwendigen Kleidung, Unterkunft und medizinischen Versorgung ausstatten.
  • Die Gewahrsamsmacht muss die Sicherheit der Gefangenen während der Überstellung und des Austauschs gewährleisten.
  • Die Gefangenen müssen die Möglichkeit haben, ihre persönliche Habe mitzunehmen.
  • Vor der Abreise muss eine vollständige Liste der auszutauschenden Gefangenen erstellt werden; diese ist der Aufnahmemacht und dem IKRK zu übermitteln.
  • Das IKRK begleitet den Austausch von Gefangenen regelmässig als neutraler Vermittler. Die wichtigsten Bedingungen für unsere Mitwirkung sind folgende:
  • Zustimmung aller beteiligten Parteien.
  • Sicherheitsgarantien: Sicherer und uneingeschränkter Zugang für das IKRK zur Durchführung der Aktion.

Zu jedem Zeitpunkt und von allen Parteien werden die Bestimmungen des HVR betreffend einen solchen Austausch eingehalten, und zwar insbesondere im Hinblick auf die menschenwürdige Behandlung der Gefangenen vor, während und nach der Überstellung.

Welchen völkerrechtlichen Status hat der Gazastreifen?

Das IKRK betrachtet den Gazastreifen als Teil des besetzten palästinensischen Gebietes. Auch in den Oslo-Abkommen werden das Westjordanland und der Gazastreifen als eine einzige territoriale Einheit anerkannt (auch wenn sie geografisch getrennt sind).

Warum betrachtet das IKRK die palästinensischen Gebiete als besetzt, obwohl Palästina nie ein Staat war?

Besatzung ist ein Tatbestand: Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt eines feindlichen Heeres befindet. Ob das betreffende Gebiet vor dem Beginn der Besetzung unter der Kontrolle eines Hoheitsträgers stand, ist unerheblich, und die Kontroverse über die Staatlichkeit Palästinas hat keine Auswirkungen auf diese Feststellung.

Seit dem internationalen bewaffneten Konflikt von 1967 zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, der die Anwendung der vier Genfer Abkommen von 1949 auslöste, untersteht das palästinensische Gebiet der Gewalt der israelischen Armee. Daher betrachtet das IKRK die von Israel kontrollierten Gebiete als unter israelischer militärischer Besatzung stehend und bekräftigt die Anwendbarkeit de jure des Besatzungsrechts (Haager Bestimmungen von 1907 und Viertes Genfer Abkommen von 1949). Die Anwendung des Besatzungsrechts berührt nicht die Streitigkeiten bezüglich der Souveränität über das Gebiet.

Welche Regeln gelten für Belagerungen?

Belagerungen haben oft gravierende Folgen für grosse Teile der Zivilbevölkerung. Zu deren Schutz gibt es im HVR eine Reihe wichtiger Regeln. Insbesondere muss es Zivilpersonen erlaubt sein, ein belagertes Gebiet zu verlassen. Weder die belagernde noch die belagerte Macht darf sie gegen ihren Willen zum Verbleib zwingen.

Belagerungen dürfen sich ausschliesslich gegen die Streitkräfte des Gegners richten, und es ist streng verboten, Zivilpersonen, die aus einem belagerten Gebiet fliehen, zu beschiessen oder anzugreifen. Darüber hinaus müssen die Parteien alle Regeln zur Austragung von Feindseligkeiten befolgen. Bei der Belagerung einer Stadt und bei Angriffen auf militärische Ziele im belagerten Gebiet muss stets darauf geachtet werden, dass Zivilpersonen verschont werden.

Es müssen alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen werden, um den unabsichtlichen Verlust von Menschenleben in der Zivilbevölkerung, die Verletzung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten. Das HVR verbietet auch das Aushungern der Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegsführung. Vorübergehende Evakuierungen können zwar notwendig und sogar gesetzlich vorgeschrieben sein, doch dürfen Belagerungen nicht dazu benutzt werden, Zivilpersonen zu zwingen, ein Gebiet dauerhaft zu verlassen.

Behandelt das humanitäre Völkerrecht auch die Ernährungssicherheit?

Ein häufiges Problem bei Konflikten ist akuter Nahrungsmangel. Das HVR enthält wichtige Regeln, die verhindern können, dass es zu einer extremen Ernährungskrise kommt. So sind die Konfliktparteien beispielsweise verpflichtet, den Grundbedarf der von ihnen kontrollierten Bevölkerung zu decken.

Darüber hinaus verbietet das HVR ausdrücklich den Einsatz des Aushungerns der Zivilbevölkerung als Methode der Kriegsführung - ein Verstoss kann ein Kriegsverbrechen darstellen. Zudem sind Güter, die für das Überleben der Zivilbevölkerung unentbehrlich sind, besonders geschützt, so etwa Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Flächen, Nutzpflanzen, Vieh, Trinkwasseranlagen und -vorräte sowie Bewässerungssysteme.

Sie dürfen nicht angegriffen, zerstört, beseitigt oder auf andere Weise unbrauchbar gemacht werden. Auch die Einhaltung anderer Regeln des HVR kann eine wichtige Rolle bei der Verhinderung von Nahrungsmittelknappheit spielen, etwa der Schutz der Umwelt, die Beschränkung von Belagerungen und der Zugang zu humanitärer Hilfe.