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Malis unsichtbare Front: Klimawandel in einem Konfliktgebiet

In der gesamten Sahelzone leiden die Menschen unter zunehmender Gewalt. In den Schlagzeilen ist vorwiegend von den Konflikten die Rede, doch es gibt noch ein weiteres bedrohliches Problem: den Klimawandel. Lemba Bisimwa, der die Wasser- und Infrastrukturprojekte des IKRK in Mali leitet, erklärt die Folgen des Klimawandels für die Bevölkerung.

Wie würden Sie die derzeitige humanitäre Lage in Mali zusammenfassen?

Mali befindet sich in einer humanitären Krise von bislang ungekanntem Ausmass. Seit 2012 leidet der Norden unter Sicherheitsproblemen. In jüngerer Zeit verschärfte sich die Gewalt und griff auf das Landesinnere über. Die Zivilbevölkerung wird nicht verschont.

Laut UNHCR sind mehr als 300 000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden, und der Bedarf an humanitärer Hilfe hat deutlich zugenommen.

Sie können sich sicher vorstellen, dass es für Menschen, die aus Sicherheitsgründen alles zurücklassen mussten, sehr schwierig ist, das zum Überleben Notwendige zu finden: medizinische Versorgung, sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, Nahrung, Unterkunft und Bildung .

Das Land ist nicht nur mit Gewalt konfrontiert, sondern auch mit häufigen Dürren und Überschwemmungen sowie der Verschlechterung der öffentlichen Dienste.

Aïssata Hamadoun Barry ist eine von mehreren Tausend Binnenvertriebenen in Mali - ©Nicolas Réméné/IKRK

Was gehört zu Ihrer Tätigkeit?

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht Trinkwasser. Unsere Aufgabe ist es, den Zugang der Menschen zu sauberem Wasser zu erleichtern und die staatliche Wasserversorgung zu unterstützen. In den Konfliktgebieten ist das Wasserversorgungsnetz dem Bedarf nicht mehr gewachsen.

In einem Dorf zum Beispiel gibt es mehrere Wasserstellen, die schon in guten Zeiten kaum in der Lage sind, genügend Wasser zu liefern. Kommen dann viele Menschen auf der Flucht vor Gewalt hier an, sind die Wasserstellen überfordert.

In solchen Fällen können wir neue Grundwasserbrunnen bohren und mit Solarpumpen ausstatten, damit genug sauberes Wasser zur Verfügung steht.

In anderen Fällen unterstützten wir die staatliche Wasserversorgung. Im letzten Jahr beispielsweise lieferten wir dem Wasserwerk in Bandiagara bei Mopti Treibstoff, damit es die Versorgung von 27 000 Menschen auch weiterhin sicherstellen kann.

Zudem verlegten wir ein 1 Kilometer langes Kabel, über das eine nahegelegene Pumpstation mit Strom versorgt wird. Wie Sie sehen, arbeiten wir an kleinen und grossen Projekten.

Wir tun all dies, weil Wasser ein höchst kostbares Gut ist und weil es in den konfliktbetroffenen Landesteilen immer schwieriger wird, die Bevölkerung mit genug Wasser zu versorgen.

Dank dieser Wasserstelle in Kidal müssen die Hirten nicht mehr so weit wandern, um ihre Tiere zu tränken - ©Aboubacar Ag Assikabar/IKRK

Ist der Klimawandel eine der Ursachen?

Etwa zwei Drittel von Mali sind Wüste. Im Norden gibt es Wüstengebiete und in der Mitte verläuft der Sahel, ein Trockengebiet, das sich über mehrere Länder erstreckt. Wie bereits erwähnt, sind vor allem der Norden und die Mitte des Landes von Konflikten betroffen.

Durch den Klimawandel verschlimmert sich die Situation. Vereinfacht gesagt kam es in den letzten Jahren zu einem Anstieg der Temperaturen, weniger vorhersehbaren Regenzeiten und einer Zunahme extremer Wetterereignissen wie Überschwemmungen und Dürren.

Wir leisteten Hilfe nach den verheerenden Überschwemmungen, die im vergangenen Jahr 80 000 Menschen in grossen Teilen des Landes in Not gebracht hatten.

Damals starben achtzehn Menschen und mehr als 500 Rinder. 7000 Tonnen Getreide wurden vernichtet, mehr als 900 Hektaren Ackerland gingen verloren, rund 6500 Häuser wurden zerstört.

Kann man behaupten, es gebe einen Zusammenhang zwischen den Überschwemmungen und dem Klimawandel? Mit ziemlicher Sicherheit. Fachleute sind der Auffassung, dass dies der Fall ist, und es gibt seit Jahren Anzeichen für ein solches Grundmuster.

Die Suche nach Wasser kann zu Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen führen - ©Leonard Pongo/Noor

Wie wirkt sich der Klimawandel in Mali aus?

Es ist nicht immer einfach, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung herzustellen. Wir sehen, dass Familien sich immer weniger dank eigener Ernten ernähren können. Die Erträge sind dramatisch zurückgegangen.

In Timbuktu erzählte man mir, früher seien tonnenweise Zwiebeln und Kartoffeln geerntet worden, während man heute nur noch einen Bruchteil davon erziele. Einige saisonale und ganzjährige Nutzpflanzen sind ganz verschwunden.

Zudem leben die Menschen auch von ihren Viehherden. Wenn sie kein Futter und kein Wasser haben, werden die Tiere schwach und verlieren damit an Wert, oder sie sterben.

Die fortschreitende Wüstenbildung, die teilweise durch den Klimawandel verursacht ist, veranlasst die Hirten, auf der Suche nach Wasser und Futter umherzuziehen. Sie tun das nicht freiwillig, sondern gezwungenermassen. Der ganze Reichtum dieser Menschen ist ihre Herde.

Sie ziehen vorwiegend nach Süden, wo es Weideland für die Tiere gibt, doch von diesem Land leben auch die dort ansässigen Bauern.
Dies wiederum führt zu Spannungen und Rivalitäten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen; es geht darum, wer Wasserstellen und fruchtbares Ackerland kontrolliert. Die Spannungen können rasch zu Gewaltausbrüchen führen – ein Beispiel für Klimawandel als Auslöser von Gewalt.

Das IKRK bemüht sich, wo immer möglich erneuerbare Energie einzusetzen, um die Emissionen zu senken - ©Djibril Guindo/ICRC

Wie können die Auswirkungen des Klimawandels eingedämmt werden?

Die Menschen lernen, mit den durch Klimawandel verursachten Problemen umzugehen. Sie können die wissenschaftlichen Erklärungen für diesen Wandel vielleicht nicht immer nachvollziehen, doch er ist Teil ihres Alltags.

Es gibt kein Patentrezept, und für die Lösung des Problems ist auch keine gesellschaftliche Gruppe allein verantwortlich. Jeglicher Lösungsansatz muss die gesamte Gesellschaft einbeziehen – von der Landes- bis zur Ortsebene.

Das IKRK bemüht sich, wo immer möglich erneuerbare Energie einzusetzen, darunter beispielsweise Brunnen mit Solarpumpen, Sonnenkollektoren und solarbetriebene Akkus in Gesundheitszentren vor allem auf dem Land.

Die Tatsache, dass Wasser nicht ohne Weiteres verfügbar ist, bleibt ein grosses Problem; daher muss es möglichst effizient eingesetzt werden. Zum Beispiel können Bauern motiviert werden, Getreidesorten anzubauen, die den klimatischen Bedingungen besser angepasst sind, so etwa Sorten, die weniger Wasser brauchen und hitzeresistenter sind.

Ein weiteres Beispiel sind Infrastrukturprojekte. In Kidal im Norden Malis betrug die jährliche Niederschlagsmenge früher etwa 250 mm (der jährliche Niederschlag in London beträgt rund 700 mm).

Heute beträgt der jährliche Niederschlag in Kidal mit rund 120 mm die Hälfte. In der Regenzeit entstehen gewöhnlich saisonale Flüsse. Um sie optimal zu nutzen, haben wir Dämme installiert, die das Regenwasser stauen.

So gelangt es in das Grundwasser und von dort in die Brunnen der Umgebung, die folglich einen Grossteil des Jahres gefüllt sind. Das wiederum hat zur Folge, dass die ansässige Bevölkerung nicht auf der Suche nach Wasser abwandern muss.

Sie sehen also, dass wir uns bei der humanitären Arbeit hier darauf konzentrieren, den Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.

 

Intayagene in Kidal will sich dem Klimawandel anpassen und erhielt dafür vom IKRK Saatgut und Geräte - ©Aboubacrine Ag Assikabar/IKRK

Wie ergeht es den Menschen in den Städten?

Wir unterhalten dort viel größere Infrastrukturprojekte, die staatliche Dienste in städtischen Gebieten unterstützen können.

Die Stadt Gao zum Beispiel hat eine Bevölkerung von circa 100 000 Menschen. Sie wächst rasant, weil Menschen aus verschiedenen Gründen in die Stadt ziehen, etwa auf der Suche nach Sicherheit oder nach Arbeit.

Ich würde nicht sagen, dass die Leute allein wegen des Klimawandels abwandern, aber er ist sicher einer der Gründe.

Das Bevölkerungswachstum hat dazu geführt, dass es in Gao nicht genug sauberes Wasser für alle gibt. Wir sind dabei, einen Plan für eine nachhaltige und langfristige Lösung dieses Problems zu entwickeln.

Heute versorgen 15 Brunnen die Stadt mit Wasser. Sie fördern das Wasser mit brennstoffbetriebenen Generatoren.

Wir suchen nach einer Lösung, die sowohl den Einsatz fossiler Brennstoffe reduziert als auch Überschwemmungen vorbeugt und damit letztlich den Zugang der Menschen zu sauberem Wasser erleichtert.

Gao liegt am Niger, und daher überlegen wir, wie wir den Fluss für eine energieeffiziente Wasserversorgung der Stadt nutzen können.

Wir brauchen innovative Finanzierungskonzepte für dieses Projekt, denn es wird umfangreiche Investitionen erfordern.

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