Medienmitteilung

Die Folgen des Bergkarabach-Konflikts: Der Winter verschlimmert die Lage der Familien Vermisster

Nach der Eskalation des Bergkarabach-Konflikts 2020 werden noch immer rund 300 Menschen vermisst. Seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im November 2020 wurden die Überreste von mehr als 1'700 Menschen gefunden, und man begann damit, sie zu identifizieren und ihren Familien zu übergeben.

• Überreste von mehr als 1'700 Menschen gefunden, Hunderte Personen seit der Eskalation 2020 noch vermisst
• Neutrale Aktivitäten des IKRK in der Region, darunter mehr als 360 Einsätze zur Bergung menschlicher Überreste auf ehemaligen Schlachtfeldern
• Über 4'500 Vermisste aus dem Konflikt der 1990er-Jahre noch immer vermisst

Auf schlammigen Feldern und an Berghängen, in unwegsamen und abgelegenen Gebieten, in buschreichem Gelände, das mit Minen und Blindgängern übersät ist, haben Dutzende von Männern und Frauen mehr als ein Jahr lang nach den sterblichen Überresten gefallener Soldaten gesucht und sie geborgen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützte gemeinsam mit russischen Friedenssicherungskräften rund 360 Einsätze lokaler Bergungsteams beim Auffinden menschlicher Überreste.

„Nichts kann ihre Angehörigen zurückbringen, aber es ist sehr wichtig, dass diese vielen hundert Familien erfahren, was geschehen ist. Die Einsätze sind extrem gefährlich, da das Gelände mit Minen und Blindgängern übersät ist und zudem die Sicht im Winter oft gleich Null ist", sagte Christopher Poole, Leiter der regionalen IKRK-Experten für Landminen, explosive Kampfmittelrückstände, Waffenlager und Kleinwaffen.

„Um die Überreste zu bergen, müssen sich die Bergungsteams in tödliche Gefahr begeben. Es geht nicht nur darum, die Toten würdevoll zu behandeln, sondern auch darum, die Sicherheit der Teams zu gewährleisten. Unsere Teams unterstützen die lokalen Experten bei dieser Aufgabe", so Poole.

Die Bergungsarbeiten werden häufig aus verschiedenen Gründen unterbrochen, so auch jüngst wegen des winterlichen Wetters. Die Einsätze sind Teil des langjährigen Engagements des IKRK, das seit 1992 als neutraler Vermittler in der Region tätig ist.
Rechtsmediziner des IKRK unterstützen außerdem Leichenhallen überall in der Region durch die Bereitstellung von Kühlräumen, Ausrüstung und Beratung für die Teams, die die schwierige Aufgabe der Identifizierung übernehmen.

„Die Bergung menschlicher Überreste, die Identifizierung der Opfer und ihre Rückführung zu den Familien ist komplex und erfordert Zeit. Die Behörden und die Familien drängen die Rechtsmediziner immer, so schnell wie möglich zu arbeiten; doch es darf nicht zu Fehlern kommen", sagte Jane Taylor, IKRK-Regionalleiterin Forensik in Europa und Zentralasien.

Zusätzlich zu Hunderten von Menschen, die seit der Eskalation im November 2020 vermisst sind, wurden mehr als 4'500 weitere Personen im Zusammenhang mit dem Konflikt in den 1990er-Jahren als vermisst gemeldet.

„Menschen werden vermisst und ihre Familien wissen nicht, was mit ihnen geschah – das ist eine der schmerzlichsten und oft unbeachteten Wunden, die ein Konflikt hinterlässt. Tausende von Familien in ganz Europa leben heute mit diesem Verlust. Neben den vom Bergkarabach-Konflikt betroffenen Menschen gibt es beispielsweise in der Ukraine nach fast acht Jahren Konflikt Hunderte von Vermissten und auf dem Balkan insgesamt mehr als 10'000 Vermisste", sagte Martin Schüepp, IKRK-Regionaldirektor Europa und Zentralasien.

Das IKRK ist die einzige grosse humanitäre Organisation, die im Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Konflikt in der Region präsent ist. Es ist eine neutrale, unabhängige und unparteiische Organisation, deren Auftrag sich aus den Genfer Abkommen von 1949 herleitet.

Neben der Arbeit des IKRK in den Bereichen Forensik, Verseuchung durch Waffen, Vermisstensuche und Haft führt das IKRK überall in der Region verschiedene humanitäre Aktivitäten durch, darunter die Unterstützung zehntausender Menschen beim Wiederaufbau einer Existenzgrundlage, die Verbesserung des Zugangs zu Bildung und zur Behandlung psychischer Probleme sowie Aufklärung über Minengefahren.


Hinweis für Redakteure:
1. Der IKRK-Regionaldirektor Europa und Zentralasien, Waffen- und Forensikexperten aus den Regionen sowie Sprecherinnen stehen für Interviews zur Verfügung.
2. Gemäss humanitärem Völkerrecht sind die Konfliktparteien verpflichtet, die Toten zu suchen und zu bergen, die Überreste respektvoll zu behandeln und ihre Rückgabe an die Gegenseite zu organisieren, einschliesslich der Überreste aus früheren Konfliktphasen.
3. Das 1863 gegründete IKRK ist weltweit tätig, um Menschen zu helfen, die von Konflikten und bewaffneter Gewalt betroffen sind, und um die Gesetze zum Schutz von Kriegsopfern zu fördern. Es hat seinen Sitz in Genf (Schweiz) und arbeitet in mehr als 100 Ländern als neutrale, unabhängige und unparteiische Organisation, deren Auftrag sich aus den Genfer Abkommen von 1949 herleitet.
4. Das IKRK hat mehr als 400 Mitarbeitende in der Region und verfügt über ein Budget von CHF 44.5 Millionen.



Weitere Informationen:
Crystal Wells, IKRK Genf, cwells@icrc.org, +41 79 642 80 56
Ruth Hetherington, IKRK Genf, rhetherington@icrc.org , +41 79 217 32 23