Gestern habe ich Gaza und den Süden Israels besucht. Das Trauma in dieser Region wird mit jedem neuen Ausbruch der Feindseligkeiten grösser. Die Menschen haben Angst, was sie noch erwartet.
Ich habe bei ihnen eine tiefgreifende Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit sowie das weitgehende Unvermögen, sich eine bessere Zukunft für die jüngere Generation in der Region auszumalen, erlebt. Die jetzt für die Menschen in Gaza notwendige humanitäre Hilfe kann die nahezu unvermeidliche Rückkehr zu Nächten voller Terror in der nahen und fernen Zukunft nicht vermeiden. Dies ist nur mit politischen Lösungen möglich.
Ich habe beiden Seiten unser Angebot unterbreitet, als neutraler Vermittler zu agieren, sollte es einen ausgehandelten Austausch von Gefangenen oder eine Überführung sterblicher Überreste geben. Familien haben das Recht zu wissen, was passiert ist, zu trauern und ihr Leben weiterzuleben.
Die jüngste Eskalation hat die Menschen in Gaza schwer getroffen. Mit jedem neuen Ausbruch der Feindseligkeiten verschlechtern sich ihre Lebensbedingungen und werden weitere Existenzgrundlagen und Häuser zerstört. Die Menschen sind schlicht und ergreifend müde, immer zu hören, wie „widerstandsfähig" sie sind. Es ist ein Begriff, der letztlich nur die Abwesenheit von Alternativen für die Menschen bezeichnet, die wiederholt nur mit dem leben müssen, was ihnen geblieben ist.
Die Zivilbevölkerung in Israel zahlt ebenfalls einen hohen Preis. Im Süden ist es für die Menschen zur Normalität geworden, sich unweit von Schutzräumen aufzuhalten und von Ballonbomben verursachte Feuer zu löschen, die Ackerland und Existenzgrundlagen zerstören.
Die psychologischen Auswirkungen der Zyklen aus Angst und Zerstörung auf beiden Seiten der Grenze zu Gaza werden sich noch lange bei Kindern und Erwachsenen gleichermassen bemerkbar machen.
Humanitäre Hilfe, die derzeit den Zusammenbruch einiger grundlegender Leistungen in Gaza verhindert, ist keine nachhaltige Lösung.
In Gaza wächst eine ganze Generation junger Menschen auf, ohne je etwas anderes gekannt zu haben als geschlossene Grenzen und wiederholte Kampfhandlungen. Junge Menschen unter 18 Jahren haben bereits vier Militäreinsätze und unzählige Eskalationen erlebt. Was sie nun brauchen, sind ein Hoffnungsschimmer und eine Zukunft, der sie mit Freude entgegensehen können.
In Jerusalem stellte man mir dieselben Fragen: Wie sieht eine Zukunft für die palästinensische Jugend aus, die unter der längsten militärischen Besetzung der Neuzeit lebt?
Es ist meine feste Überzeugung, dass das humanitäre Völkerrecht wieder auf den Tisch gebracht werden muss, um rechtliche und humanitäre Auswirkungen der Besatzungspolitik auf die palästinensische Bevölkerung anzusprechen. Die Einhaltung des Völkerrechts ist kein Patentrezept, um die Besatzung zu beenden, aber sie kann dazu beitragen, den Weg zu einer Verhandlungslösung zu bewahren. Dieser Konflikt wird nicht gelöst werden, indem man die vierte Genfer Konvention zitiert. Aber allein das Einhalten ihrer grundlegenden Bestimmungen wäre bereits ein richtiger erster Schritt auf einem zunehmend langen und qualvollen Weg zu Frieden.
Das unmittelbare Augenmerk des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) liegt auf der Erfüllung der dringendsten Bedürfnisse der Menschen in Gaza. Dafür benötigen wir ein zusätzliches Budget von CHF 10 Mio. (USD 11,1 Mio.). Unsere Teams vor Ort kümmern sich aktuell unter anderem um folgende Aufgaben:
- Nachdem unlängst ein IKRK-Chirurgenteam in Gaza eingetroffen ist, besteht eine unserer Prioritäten darin, zusätzliche medizinische Vorräte zu liefern, um ein bereits anfälliges und äusserst beanspruchtes Gesundheitssystem zu unterstützen, das gleichzeitig auch noch mit der Bekämpfung der Ausbreitung von COVID-19 beschäftigt ist.
- IKRK-Teams unterstützen Familien, die ihre Häuser sowie den Zugang zu Wasser und Strom verloren haben. Wir konzentrieren uns auch auf langfristige Bedürfnisse wie den Wiederaufbau der Infrastruktur und wichtige Unterstützung für die mentale Gesundheit.
- Wir unterstützen bereits Reparaturen grösserer Versorgungssysteme: Wasser- und Abwassersysteme sowie Stromnetze – diese Unterstützung soll weiter ausgebaut werden.
Ausserdem werden wir auch unsere Partner von Magen David Adom in Israel und der Palästinensischen Rothalbmondgesellschaft weiter unterstützen.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
Suhair Zakkout (Gaza): szakkout@icrc.org oder +972 599 255 381
Christoph Hanger (Tel Aviv/Jerusalem): changer@icrc.org oder +972 526 019 150
Yahia Masswadeh (Jerusalem): ymasswadeh@icrc.org oder +972 526 019 148
Sara Alzawqari (Beirut): salzawqari@icrc.org oder +961 3 138 353