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Wasserkrise in Syrien: Bis zu 40 % weniger Trinkwasser nach zehn Jahren Krieg

Der über zehn Jahre andauernde Konflikt in Syrien hat in vielen Teilen des Landes zur Zerstörung der Wasserinfrastruktur geführt. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist eine Herausforderung für Millionen Menschen in Syrien; nach zehn Jahren Krieg stehen 40 % weniger Trinkwasser zur Verfügung.

Der über zehn Jahre andauernde Konflikt beeinträchtigt den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen in Syrien, darunter den Zugang zu sauberem Trinkwasser, erheblich. Vor 2010 hatten 98 % der Menschen in den Städten und 92 % derjenigen in ländlichen Gebieten einen verlässlichen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Heute hat sich die Situation deutlich verändert, denn mittlerweile sind nur noch 50 % der Wasser- und Sanitärversorgungssysteme in Syrien korrekt in Betrieb.

Die Auslöser der Wasserkrise sind vielfältig und komplex, aber eines ist klar: Sie sind die direkten und indirekten Folgen des anhaltenden Konflikts.

Die Versorgungssysteme wurden infolge der Gewalt beschädigt und konnten nicht angemessen instand gesetzt werden. In manchen Fällen fehlen 30-40 % des technischen Personals und Ingenieure, die für den Betrieb der Systeme notwendig sind. Viele haben das Land verlassen, andere sind in den Ruhestand gegangen, ohne die jüngere Generation zu schulen und ihnen das entsprechende Wissen weiterzugeben.

"Die grossen und äusserst zentralisierten Trinkwasserversorgungseinrichtungen der acht syrischen Wasserversorgungssysteme wurden infolge der Kampfhandlungen erheblich beschädigt. In den letzten zehn Jahren hat sich ihr Zustand weiter verschlechtert, weil sie nicht angemessen betrieben und instand gehalten werden und weil Ersatzteile und Personal fehlen.''

— Christophe Martin, Leiter der IKRK-Delegation in Syrien.

In Al-Hasaka ist der Transport von Wasserkanistern allgegenwärtig und gehört zu den täglichen Aufgaben der Kinder. Natalie BEKDACHE/IKRK

Der 60-jährige Tawfik bei einer mobilen Wasserverteilstelle in Al-Hasaka.
Natalie BEKDACHE/IKRK 

Lokale Versorgungssysteme, die grundlegende Dienstleistungen wie Wasser, Strom und eine Gesundheitsversorgung bieten, sind miteinander vernetzt und mögliche Ausfälle in einem der Bereiche beeinträchtigen auch die anderen Systeme. Fehlender Strom gefährdet den Zugang zu Wasser und wirkt sich negativ auf medizinische Einrichtungen aus. Die gesamte Wasserversorgung hängt von Strom ab, und das in einem Umfeld, in dem die Kapazität der Stromproduktion um 60-70 % gesunken ist.

Wasserknappheit hat zu vermehrter Instabilität geführt, vor allem in den besonders vom Konflikt betroffenen Gegenden, z.B. im Nordosten des Landes. Dort leben in Lagern wie Al-Hol weiterhin unzählige Binnenvertriebene, die aus den vom Konflikt betroffenen Gegenden geflüchtet sind, Flüchtlinge aus dem Irak sowie gestrandete Frauen und Kinder aus über 60 Ländern.

Der 60-jährige Tawfik aus Al-Hasaka berichtet, dass die Mehrzahl der Menschen in seinem Gouvernement – genau wie er – dringend Wasser benötigt. „Wenn wir Brunnen graben, stossen wir nur auf Abwasser, das nicht trinkbar ist und auch nicht zum Waschen verwendet werden kann", so Tawfik.

In Al-Hasaka ist der Transport von Wasserkanistern allgegenwärtig und gehört zu den täglichen Aufgaben der Kinder. Natalie BEKDACHE/IKRK

Mindestens 700 000 Menschen im Gouvernement Al-Hasaka im Nordosten von Syrien sind tagtäglich von Wasserknappheit betroffen.

„Die Wassertanks decken nur einen kleinen Teil des Wasserverbrauchs; vor allem im Sommer braucht es eine kontinuierliche Versorgung. Ohne Wasser gibt es kein Leben."
– Mahmoud, ein junger Mann aus Al-Hasaka.

Aufgrund des Klimawandels litt Syrien bereits vor Ausbruch des Konflikts unter steigender Wasserknappheit.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu betonen, dass die von Konflikten betroffenen Länder unverhältnismässig vom Klimawandel betroffen sind. Der Konflikt in Syrien hat nicht nur schlimme Folgen für die Menschen und die Wirtschaft des Landes, sondern auch für die Umwelt.

So sind die Abwasseraufbereitungsanlagen für Damaskus und Aleppo als Folge ihrer direkten Zerstörung seit 2012 ausser Betrieb. Das Abwasser wird seither unbehandelt in die Natur abgelassen; dies stellt ein erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit dar und kontaminiert in grossem Umfang das Grundwasser.

Vor 2010 hatten 98 % der Menschen in den Städten und 92 % derjenigen in ländlichen Gebieten einen verlässlichen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Heute sind nur noch 50 % der Wasser- und Sanitärversorgungssysteme in Syrien korrekt in Betrieb.

Auch das Kraftwerk in Aleppo wurde unwiederbringlich zerstört und es würde mindestens fünf Jahre dauern, diese Anlage unter stabilen Bedingungen wieder aufzubauen.

Wie in den meisten von Konflikten betroffenen Gegenden weltweit verstärken sich Klimawandel und Umweltverschmutzung aufgrund der Folgen der Konflikte – dies wird unter anderem durch die Veränderung bei der Verfügbarkeit von Wasser und dessen Qualität deutlich.

Kinder in Al-Hasaka beim Transport von Wasserkanistern auf Motorrädern. Natalie BEKDACHE/IKRK

„Es geht nicht um politischen Streit über den Wiederaufbau, sondern darum, praktische Lösungen in den Bereichen Wasser, Sanitärversorgung, Bildung, Gesundheit, Strom und grundlegenden Einkommen für die Menschen zu finden."
– IKRK-Präsident Peter Maurer bei seinem Besuch in Syrien.

In den letzten zehn Jahren hat das IKRK Tausende technische Projekte durchgeführt, um auf Notsituationen zu reagieren und nachhaltige Unterstützung für lokale Dienstleister bereitzustellen, die sich gegen die schwindenden Serviceleistungen stemmen.

In den letzten zehn Jahren hat das IKRK Tausende technische Projekte durchgeführt, um auf Notsituationen zu reagieren und nachhaltige Unterstützung für lokale Dienstleister bereitzustellen, die sich gegen die schwindenden Serviceleistungen stemmen.

Im ersten Halbjahr 2021 haben das IKRK und der Syrisch-Arabische Rote Halbmond Hunderte Projekte im ganzen Land durchgeführt, in deren Rahmen über 15 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser erhielten, nachdem zahlreiche Pumpstationen in den am schwersten vom Konflikt betroffenen Gegenden saniert wurden.

So konnten Hunderte Bauern ihr Land wieder bewässern, da die Landwirtschaft zu den Haupteinkommensquellen gehört, während die Wirtschaft des Landes am Boden liegt und 80 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.

Das IKRK ruft im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht kontinuierlich zum Schutz und der Bewahrung wichtiger Infrastruktur auf. Aber das beispiellose Ausmass der aktuellen Herausforderungen, um diese humanitäre Katastrophe zu bewältigen, braucht mehr finanzielles und politisches Engagement einer noch vielfältigeren Gruppe von Akteuren, darunter humanitäre Organisationen, Entwicklungsagenturen und der Privatwirtschaft.

Weitere Informationen:

Adnan Hezam (Damaskus): ahizam@icrc.org
+9631133806205

Imene Trabelsi (Beirut): itrabelsi@icrc.org
+961 3 13 83 53

Jason Straziuso (Genf): jstraziuso@icrc.org
+41227302077